Uhren in Geburtsräumen – Wider die Diktatur der Zeiger

Uhren in Geburtsräumen – Wider die Diktatur der Zeiger

Wenn ich die Macht hätte, etwas mit einem Wort zu ändern, so wäre es die Verbannung von Uhren aus Geburtsräumen. Ich habe nie verstanden, was sie dort für eine Funktion haben. Noch dazu, wo die Exemplare, die dort verwendet werden, eher Bahnhofsformat haben und keinesfalls als dezent zu bezeichnen sind und üblicherweise an prominentester Stelle im Raum hängen. Fehlte nur, dass sie bahnsteiggleich von der Decke hingen.

Aber schauen wir uns das mit System an. Schaun wir einmal auf die Bedeutung / den Nutzen? für die gebärende Frau und machen wir einen zweiten Blick auf die Funktion für Hebammen und ÄrztInnen. Lassen Sie mich bei den Letzteren beginnen. Die sagen, es sei wichtig, die exakte Geburtszeit festzuhalten. Wozu das? Für das Horoskop? Naja, in Einzelfällen hat das wohl Bedeutung. Wenn es z.B. einem Baby bei der Geburt schlecht geht, dann ist es schon relevant, wie sich sein Gesundheitszustand auf der Zeitschiene verbessert, verschlechtert oder unverändert bleibt. Naja, geht’s mir dann durch den Kopf, wenn ich mich recht erinnere, hat genau niemand in diesem Moment Sinn oder Auge für die Uhr! Wenn es dem Neugeborenen schlecht geht, dann hat einfach das Programm abzulaufen, das wir erlernt haben, damit es ihm rasch besser geht und es keinen Schaden nimmt. In meiner ärztlichen Funktion war es nur selten nötig, dass ich nach einer Geburt sofort aktiv werden musste. Bei den allermeisten Geburten war nur es so, dass ich daneben stand und den unglaublichen Moment des ersten Atemzugs erleben durfte, den Augenblick des das Licht der Welt Erblickens!
Das bringt mich übrigens zu einer Nebenbemerkung. Die erfolgreiche Geburt ist jene, bei der der Arzt / die Ärztin die Hände nicht aus der Tasche nimmt.
Wofür sonst könnten sie von Bedeutung sein? Dokumentation? Auch nicht wirklich. Ist sie EDV-gestützt, so ist die Zeit Teil des Systems. Erfolgt sie auf Papier, so täte es eine kleine Uhr auch.

Zurück zur Uhr. Für die professionellen Begleiter haben sie also keine nachvollziehbare wichtige Funktion. Wie sieht es aber für die wehenden Frauen (und ev. ihre Partner) aus? Für die sind diese Uhren wie Big Brother, wie Hoffnung und Erpresser zugleich.
Eine der immer großen Fragen im Zusammenhang ist: wie lange wird es dauern? Und unter der Geburt: wie lange noch? Und obwohl wir Profis genau wissen, dass wir es nicht wissen, lassen wir uns immer wieder zu Prognosen verleiten. Und dann kleben die Blicke der Frauen am Sekundenzeiger … anstatt dass sie bei sich sind. Eine andere Möglichkeit: es gibt ein Problem / Probleme und bis zu diesem Zeitpunkt X muss eine Entscheidung fallen. Auch nicht wirklich eine positive Besetzung der Uhr.

Also raus mit der Uhr aus dem Gebärraum. Sie schadet mehr als sie nützt. Und sollte in Einzelfällen einmal eine sinnvoll sein, so gibt es genügend Möglichkeiten diese Funktion in die Situation reinzuholen.

(© Beitragsfoto: Stefan Rajewski – Fotolia.com)

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